Wir bilden Kirche

Input und Reflextion für die Klausurtagung des Kirchenvorstands
Reformierte Kirchgemeinde Zizers - 2025  

„Wir bilden Kirche“ – so lautet der Titel unseres heutigen Tages und des Inputs, den ich machen darf.  Drei kleine Worte – und doch tragen sie eine grosse Spannung in sich. Sie klingen fast selbstverständlich, und zugleich sind sie herausfordernd: Wir bilden Kirche.

1. Unser «Wir»

Kirche beginnt mit dem „Wir“. Nicht mit dem Pfarrer, nicht mit der Kirchenpflege, nicht mit einer einzelnen Vision oder einem Konzept. Sondern mit Menschen, die gemeinsam unterwegs sind – mit ihren Gaben, Fragen, Sorgen und Hoffnungen.

Dieses „Wir“ ist kostbar – und zugleich nicht selbstverständlich. In einer Zeit, in der Individualität und Selbstverwirklichung hoch im Kurs stehen, ist Gemeinschaft manchmal mühsam. Sie braucht Geduld, Vertrauen, Kommunikation – und manchmal auch Vergebung.

Aber genau da, wo wir uns einander zumuten, wo wir gemeinsam ringen, da geschieht Kirche.

„Ihr seid der Leib Christi, und jeder einzelne von euch ist ein Teil davon.“ (1. Korinther 12,27) Paulus beschreibt die Kirche als „Leib Christi“. Diese Metapher ist zentral für das reformierte Verständnis von Gemeinde: Jedes Glied hat seinen eigenen Platz, seine eigene Aufgabe, und doch gehören alle zusammen. Kein Teil ist wichtiger als das andere, keiner überflüssig.

Das heisst für uns heute: Kirche lebt von der Vielfalt der Gaben. Sie ist keine Versammlung Gleichgesinnter, sondern eine Gemeinschaft Verschiedener, die einander brauchen. In der reformierten Tradition drückt sich das in der synodalen Struktur aus: Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, Leitung geschieht im Gespräch, Verantwortung wird geteilt.

„Christus allein ist das Haupt der Kirche.“— Johannes Calvin, Institutio IV,1,2 
Deshalb hat niemand allein das Sagen. Weder Pfarrpersonen noch Behörden „sind“ die Kirche – sie dienen ihr. Kirche wird gebildet, wo Menschen gemeinsam auf Christus hören und sich gegenseitig ernst nehmen.

Diese Haltung prägt auch die Kultur in unseren Kirchgemeinden: Wir suchen nicht Einigkeit um jeden Preis, sondern Einheit im gemeinsamen Hören. Unterschiedliche Meinungen und Wege gehören dazu. Denn im gemeinsamen Ringen wird Kirche lebendig – und glaubwürdig.

Das „Wir“ ist keine Idee – es ist eine geistliche Wirklichkeit. Wir sind miteinander Glieder eines Leibes, verbunden durch den Geist Christi. Und dieses „Wir“ reicht weiter als unser Vorstand, weiter als unsere Gemeinde – es umfasst die ganze Kirche Christi, über Konfessionen und Grenzen hinweg.

2. Bilden – Werden, Gestalten, Lernen

Das zweite Wort ist „bilden“. Es ist aktiv und zugleich passiv zu verstehen: Wir bilden – das heisst, wir gestalten, wir formen, aber wir lassen uns auch selbst formen. Kirche ist nie fertig. Sie ist ein Prozess, ein Werden.

Unsere reformierte Tradition erinnert uns daran mit dem Satz: Ecclesia semper reformanda – die Kirche muss immer wieder erneuert werden. Das ist kein Auftrag zu hektischer Veränderung, sondern ein geistliches Prinzip: Kirche lebt davon, dass sie sich immer neu vom Evangelium her ausrichten lässt.

In der reformierten Theologie – bei Calvin, Bullinger und in den Bekenntnisschriften – wird die Kirche als creatura verbi divini, als Schöpfung des göttlichen Wortes, verstanden. Nicht Organisation oder Tradition machen Kirche aus, sondern das Wirken Gottes durch sein Wort.

„Wo das Wort Gottes lauter gepredigt und gehört wird und die Sakramente dem Evangelium gemäss verwaltet werden, da ist Kirche.“ – Confessio Helvetica posterior (1566)

„Nicht wir halten die Kirche, sondern Gott hält sie durch sein Wort.“ – Heinrich Bullinger

Kirche entsteht dort, wo Menschen das Evangelium hören und darauf antworten. Sie lebt aus der Begegnung mit Gottes Wort – aus der Verwandlung, die geschieht, wenn Gottes Geist uns tröstet, ergreift und in Bewegung setzt.

Darum ist „Wir bilden Kirche“ zunächst passiv zu verstehen: Wir werden gebildet. Kirche „machen“ wir nicht – sie wird gebildet, indem Gott uns im Hören, Beten, Zweifeln und Hoffen formt. Doch dieses göttliche Wirken bleibt nicht abstrakt: Es geschieht durch uns – durch unsere Gemeinschaft, unsere Entscheidungen, unsere gelebte Nächstenliebe. Kirche ist immer zugleich Gottes Geschenk und menschliche Aufgabe.

Darum ist „bilden“ auch lernen. Wir dürfen – ja, wir müssen – lernen, was es heute heisst, Kirche zu sein:  in einer Gesellschaft, die sich verändert, in einer Kultur, in der Glaube nicht mehr selbstverständlich ist, in einer Zeit, in der Gemeinschaft neue Formen sucht.

Vielleicht bedeutet das: weniger Programme, aber mehr Begegnungen. Weniger Erklären, mehr Zuhören. Eine Kirche, die nicht zuerst etwas anbietet, sondern Räume schafft, in denen Menschen sich gesehen, getragen, herausgefordert fühlen.

3. Kirche – mehr als eine Institution

Was meinen wir mit „Kirche“? Viele denken an das Gebäude, an Strukturen, an Verwaltung – Dinge, die auch zu unserem Alltag gehören. Aber im tiefsten Sinn ist Kirche kein Apparat, sondern eine Bewegung. Kirche ist dort, wo Menschen sich von Gottes Geist bewegen lassen.

„Sie hielten fest an der Lehre der Apostel, an der Gemeinschaft, am Brotbrechen und an den Gebeten.“ (Apostelgeschichte 2,42)

Das war Kirche – einfach, ehrlich, gemeinschaftlich. Kein grosser Apparat, keine perfekte Organisation. Aber ein Ort, an dem der Geist Gottes lebendig war.

Und vielleicht ist genau das unsere Herausforderung heute: Kirche neu als geistliche Bewegung zu verstehen – nicht nur als Institution, die es zu erhalten gilt.

4. Zwischen Vergangenheit und Zukunft

Wir stehen als reformierte Gemeinden in einer langen Tradition. Unsere Geschichte ist geprägt von Menschen wie Zwingli oder Calvin, die Kirche neu gedacht haben – nicht aus Protest, sondern aus Sehnsucht nach Wahrheit, nach einem Glauben mitten im Leben.

Diese reformatorische Haltung bleibt aktuell: Nicht alles Alte verwerfen, aber alles prüfen. «Prüft alles, und behaltet das Gute» - sagt auch die Jahreslosung für 2025. Nicht auf den Wandel starren, sondern fragen: Wohin ruft uns das Evangelium heute?

In der Schweiz erleben viele Gemeinden Rückgang, Unsicherheit, manchmal auch Resignation. Und doch: Vielleicht ist diese Zeit nicht das Ende, sondern eine Geburt. Vielleicht ist es Gottes Art, uns zu erinnern, dass Kirche nicht durch Zahl, sondern durch Geist lebt.

5. Innenräume – äusserlich und innerlich

Heute sprechen wir über die innere Neugestaltung unserer Kirche. Das ist spannend – und symbolisch. Denn wenn wir über Bänke und Raum sprechen, sprechen wir zugleich über unsere inneren Räume.

Wie offen sind wir für Neues? Wie offen ist der Raum unseres Glaubens? Wo haben wir Platz geschaffen für Begegnung, Stille, Gebet, Freude?

Eine Kirche, die innen freundlicher wird, kann ein sichtbares Zeichen dafür sein, dass auch unser Gemeindeleben sich verändert – hin zu mehr Offenheit, Gastfreundschaft, Wärme.

Aber es darf nicht nur eine ästhetische Veränderung bleiben. Es ist eine Einladung, uns auch geistlich erneuern zu lassen. Denn nur eine Kirche, die sich innerlich bewegt, wird auch äusserlich lebendig.

6. Ein geistlicher Blick

Wenn wir Kirche bilden, dann tun wir das nicht aus uns selbst heraus. Wir sind Mitarbeitende an etwas, das grösser ist als unsere Pläne.

„Lasst euch als lebendige Steine zu einem geistlichen Haus aufbauen.“ (1. Petrus 2,5)

Lasst euch aufbauen! – das ist aktiv und passiv zugleich. Wir bauen – aber wir werden auch gebaut. Gott selbst ist der Baumeister.

Darum dürfen wir mutig sein. Wir dürfen gestalten, ausprobieren, verändern – im Vertrauen darauf, dass Gott mitten in diesem Prozess wirkt.

7. Ausblick und Einladung

Ich wünsche uns, dass dieser Tag uns ermutigt, das „Wir bilden Kirche“ nicht nur als Arbeitstitel zu sehen, sondern als geistliches Bekenntnis.

Wir bilden Kirche, weil Gott uns zusammengeführt hat. Weil er uns begabt und gesendet hat. Weil wir glauben, dass Kirche auch in Zukunft gebraucht wird – nicht nur als Institution, sondern als Raum für Begegnung mit Gott und mit Menschen.

„Siehe, ich mache alles neu“, spricht Gott. (Offenbarung 21,5) Das ist keine Drohung – das ist ein Versprechen. Und dieses Versprechen dürfen wir heute miteinander leben.

Liebe Geschwister, ich möchte diese Gedanken nicht einfach im Raum stehen lassen. Denn „Wir bilden Kirche“ ist kein Vortragsthema – es ist eine Bewegung, in der wir selbst mittendrin sind. Darum lade ich uns ein, jetzt gemeinsam kurz innezuhalten und miteinander zu überlegen, wo und wie wir in unserer Gemeinde Kirche bilden – heute und in Zukunft.

Ich lese euch dazu ein paar Fragen vor – die eine Einladung sind zum Hinhören und Nachdenken.

Reflexionsfragen

1. Unser „Wir“

Wo erleben wir in unserer Gemeinde heute ein lebendiges „Wir“ – Gemeinschaft, Glauben, Miteinander? Und wo spüren wir, dass dieses „Wir“ brüchig oder herausgefordert ist?

2. Kirche bilden – gestalten und lernen

In welchen Bereichen bilden oder gestalten wir Kirche bereits aktiv – bewusst oder unbewusst? Und wo wäre es an der Zeit, Neues zu wagen oder alte Gewohnheiten zu überdenken?

3. Innenräume – äusserlich und innerlich

Wenn wir unsere Kirche innen neu gestalten: Welche Atmosphäre, welche Haltung, welche „geistliche Architektur“ soll spürbar werden? Was möchten wir, dass Menschen fühlen, wenn sie unsere Kirche betreten?

4. Hoffnung und Auftrag

Was ist unsere Hoffnung für die Kirche der Zukunft – hier in unserer Gemeinde? Und was könnten unsere nächsten Schritte sein, um dieser Hoffnung Gestalt zu geben?

Vielleicht bleiben manche Fragen offen – das ist gut so. Kirche bilden heisst auch: gemeinsam unterwegs sein, ohne alle Antworten zu haben. Ich wünsche uns, dass das, was heute angestossen wurde, weiterwirkt – in unseren Gesprächen, in unseren Entscheidungen, in unseren Herzen. Und dass wir spüren: Gott selbst ist mitten in diesem Prozess – als der, der uns zusammenführt, der uns formt, und der aus unserem „Wir“ ein lebendiges Bild seiner Liebe macht.

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