100 Tage im Amt - Pfarrer Adorján Török im Interview 

 

Thomas Rentsch: Kannst du dich und deine Familie kurz vorstellen?
Adorjan Török-Csingo: Ich bin Adorjan und bin mit Izabella verheiratet. Unsere beiden Töchter heissen Salome (dreijährig) und Miriam (zehn Monate). Dazu gehört auch unser Hund Arthus. Wir kommen aus Siebenbürgen, Rumänien und gehören zur ungarischen Minderheit, die in diesem Gebiet lebt. Unsere Muttersprache ist also ungarisch und wir sind in der ungarischen Kultur aufgewachsen.

Was sind eure Hobbies?
Izabella und ich, wir tanzen sehr gerne, am liebsten ungarische Volkstänze. Im Urlaub findet man uns auf einem Camping im Süden. Meine persönliche Leidenschaft sind Uhren, natürlich solche aus der Schweiz.

Ihr seid jetzt seit ungefähr 100 Tagen in der Schweiz, in Zizers. Was sind eure ersten Eindrücke von Land und Leuten?
In Zizers fällt uns auf, dass die Menschen freundlicher und entspannter sind als in Rumänien. Hier grüsst man sich, auch wenn man sich nicht kennt. Das Leben scheint hier in der Balance zu sein, man hat Zeit für sich und seine Familie. Wir staunen, wie in der Schweiz alles geregelt und organisiert ist – und vor allem, dass man sich darauf auch verlassen kann. Es ist zwar etwas kompliziert zu Beginn, aber sinnvoll. Wir geniessen die entspannte Atmosphäre und die Sauberkeit hier sehr.

Was sind die größten Unterschiede zu Rumänien?
Rumänien und die Schweiz sind zwei sehr unterschiedliche Welten. In Rumänien stehen die Leute unter Dauerstress, die Arbeit hat erste Priorität, um wirtschaftlich zu überleben. Die Menschen leben von Tag zu Tag, müssen sehr flexibel sein und haben grundsätzlich wenig Zeit. Das wirkt sich auf die gesamte Kultur aus, viele Menschen wirken unzufrieden und scheinen wenig Freuden im Leben zu haben.

Du warst 11 Jahre Pfarrer in Keszü, der Partnergemeinde der evangelisch-reformierten Kirche Zizers. Was waren deine Aufgaben in diesem Pfarramt?
In Keszü bedeutet Pfarrer sein, dass man nicht nur Theologe und Seelsorger, sondern auch Sozialarbeiter, Lehrperson, Administrator, Buchhalter, Bauleiter und Organisator von kulturellen Anlässen ist. Keszü ist ein kleines Dorf mit 170 Kirchenmitgliedern. Als Pfarrer ist man Ansprechperson für die Menschen in praktisch allen Belangen. Mit dem Auto des Pfarramts, das von der Kirchgemeinde Zizers finanziert wurde, fuhr ich oft Menschen in die Stadt für Termine. Ich war sehr nah an den Menschen, was schön war. Andererseits fehlte mir oft die Zeit für die theologisch-geistliche Arbeit und die vielen Verpflichtungen belasteten das Familienleben.

Woher hast du die Kraft genommen für diese vielen und verantwortungsvollen Aufgaben? Was hast du gelernt in diesen Herausforderungen?
Als Pfarrer in Keszü war ich rund um die Uhr im Dienst. Und irgendwann war mein Tank leer und ich erschöpft, obwohl die Aufgaben noch nicht erledigt waren. Darin habe ich Gottes Versorgung konkret erlebt, dass wenn ich nicht mehr genug Kraft habe, von ihm her neue Energie gekommen ist. Seine Kraft ist in den Schwachen mächtig, schreibt Paulus. Das hat mich geprägt.

Wie kam es eigentlich dazu, dass ihr nach Zizers in die Schweiz ausgewandert seid? Was hat euch dazu bewogen?
Es war immer ein Wunsch von mir, als Pfarrer einmal im Ausland zu wirken. Meine Eltern haben uns Kindern Deutschunterricht ermöglicht, und ich habe mich in Deutschland und der Schweiz umgesehen. Während des Studiums ergab sich keine Möglichkeit und nach dem Abschluss war ich vier Jahre in zwei verschiedenen Städten Pfarrer. Dann wurde ich nach Keszü berufen und fand in meine Aufgabe dort. Izabella lebte in dieser Zeit in Berlin und als wir heirateten, kam sie zu mir nach Keszü. Auch sie hatte den Wunsch, Rumänien zu verlassen und wir vereinbarten, Gelegenheiten, die an uns herangetragen werden, zu prüfen. Vor circa zwei Jahren habe ich innerlich gespürt, dass sich eine Veränderung anbahnt. Mit der Geburt von Salome stellte sich die Perspektivenfrage in Rumänien neu und konkret. Ende 2023 haben wir erfahren, dass Heinz-Ulrich Richwinn Zizers verlassen wird und eine neue Pfarrperson gesucht wird. Weil wir Zizers als Partnergemeinde und von einem Besuch im 2019 kannten, haben wir uns beworben. So ging für uns die Türe in die Schweiz auf.

Weshalb bist du eigentlich Pfarrer geworden und ist das immer noch geblieben?
Ich war sechs Jahre alt, als ich meiner Mutter sagte: «Ich werde einmal Pfarrer!». Das erzählt jedenfalls meine Mutter so, ich erinnere mich nicht. Die Kirche hatte für meine Familie eine Bedeutung, aber es war niemand meiner Verwandten Pfarrer. Das tönt vielleicht etwas komisch, aber ich hatte diese Berufung ins Pfarramt seit der Kindheit immer gespürt. Als ich einen Studienplatz suchte, hatte ich keinen Plan B, sondern vertraute darauf, dass es auch Gottes Plan für mich ist.

Nun bist du in einem reformierten Pfarramt in der Schweiz gelandet. Hier hast du auch eine vielseitige Aufgabe. Was sind deine Ziele und Anliegen für die Menschen hier im Dorf?
Ich freue mich darauf, ausgiebig Zeit für die geistlichen Aufgaben (Seelsorge, Predigt, Kasualien) zu haben. Ich möchte die Gemeinschaft von Christen und allen Bewohnern im Dorf fördern, dass die Kirche ein Bindeglied zwischen allen Menschen ist. Als Pfarrer möchte ich erreichbar sein, nicht nur sonntags, auch im Alltagsgeschehen. Wenn wir aufeinander zugehen und uns gegenseitig zuhören, lernen wir voneinander. Das ist was Jesus uns vorgelebt hat, einander zu dienen und das Leben zu teilen.

Wir freuen uns, dass wieder eine Familie im Pfarrhaus wohnt. Wie kann man mit dir oder euch in Kontakt kommen?
Das ist ganz einfach: Man kann an der Tür klingeln. Jederzeit. Wenn wir zu Hause sind, dann ist die Tür für jeden offen. Man erreicht das Pfarramt auch telefonisch. Über spontane Begegnungen im Dorf freuen wir uns. Wir sind mit den Kindern und mit unserem Hund Arthur oft unterwegs.

Wie geht es Izabella, deiner Frau? Wie sieht ihr Alltag aus?
Izabella ist sehr glücklich, hier zu sein. Als wir 2019 nach unserer Hochzeit eine Woche in Zizers zu Besuch waren, hat es ihr in Zizers sehr gefallen. Sie lernt nun Deutsch und kommt über die Kinder in Kontakt mit dem Dorf. Es ist für uns beide wie ein Traum: Wir leben nun hier und kehren nicht zurück – unsere Kinder werden in Zizers aufwachsen.

Und wie hat die kleine Salome auf die Veränderung reagiert?
Sie fragte am Anfang immer wieder nach Keszü, wann wir zurückkehren werden. Nun hat sie verstanden, dass Papa nun «eine neue Kirche hat» und wenn wir mit dem Auto nach Zizers kommen, sagt sie «das ist unser Zuhause». Sie besucht an zwei Halbtagen die Spielgruppe und kommt in Kontakt mit anderen Kindern. Wir sind stolz auf sie, wie sie das alleine meistert und so schon bald Bündnerdeutsch sprechen kann.