Reformationssonntag, 7. November 2021 - Anna Reinhard  - Predigt Teil 4

Liebe Gemeinde

Eine der Frauen der Reformation Anna Zwingli, geb. Reinhardt (1484-1538)

Die Liebe lässt sie hüpfen. Oder ist es ihr Herz? Das machte den Mieder eng. 

«Tempelhüpfen

Heb einen Kieselstein auf,

wirf ihn mit Augenmass –

aus dem Handgelenk, locker –

Feld um Feld, spring ihm nach.

Hör auf den Wunsch in dir,

atme ihn frei,

lass ihn steigen und fliegen,

Ziel um Ziel,

nimm Mass und fliege ihm nach.

Lass den Lebensbaum wachsen,

Wurzel und Stamm, hab Vertrauen,

Zweig um Zweig

im uralten Wechsel,

wachse ihm nach.

Wie du sein wirst,

gibt es dich schon.»

                           (Lene Mayer-Skumanz)

 

Zur Schönheit ist sie herangewachsen. Die Anna – die Tochter der Wirtsleute Reinhardt am Züricher See.

In diesem Gasthaus geht der Patriziersohn Johann Meyer von Knonau ein und aus.

Innerlich ein Kieselstein aufgehoben und ihm nachgesprungen. Feld um Feld:

Die Liebe scheint gastlich zu sein.

Johann lässt sich mit Anna heimlich trauen.

Einander gastlich sein.

Doch Johanns Vater heisst das schlecht.

Verachtet sie, indem er ihnen Vermögen entzieht und den Kontakt abbricht:

der Vater springt ihnen nicht nach.

Dennoch wächst der Lebensbaum zwischen Anna und Johann. Drei Kinder, Zweig um Zweig, kommen zur Welt.

Der älteste benannt nach dem sturen Vater: Gerold.

Wenn auch noch für kurze Zeit Versöhnung geschieht, Herkunft und Zukunft sich abpassen, Johann zieht mit Hilfstruppen gegen die Franzosen nach Italien, kommt verwundet zurück. Wenig später sein Tod, so dass Anna Witwenkleider anlegt.

Die Liebe hüpft nun versehrt für ihre drei Kinder.

II.

1519 kommt ein neuer Prediger an das Münster: Ulrich Zwingli.

Er hatte den Kieselstein bisher weit geworfen – nicht auf das Feld: Beten von Rosenkränzen; noch auf das Feld: Wachsbildchen in Maria Einsiedeln opfern.

Diakonie wichtiger als Kerzenkult im Münster und der Mushafen wesentlich.

Zwingli zielt auf andere Felder hin: lebendiger Glaube und ein sittliches Leben, das sich dem Glauben verdankt.

Dahin sollten alle hüpfen. In Scharen kamen sie in seine Predigten. Das hatte etwas Pfingstliches.

Feld um Feld, Sonntag um Sonntag wurden die Kieselsteine geworfen und ihnen nachgehüpft: es wurde frei atmet.

Ich wachse der Bibel nach.

Ich wachse – nach der Bibel.

III.

Nur die Liebe liess der Standesdünkel keine Freiheit.

Als Ulrich schwer an der Pest daniederlag, pflegte Anna ihn.

Aus der Pflegegeschichte wird eine Liebesgeschichte.

Hör auf den Wunsch in dir!

Zwingli wurde Lehrer des begabten Gerold.

Ulrich und Anna heiraten 1522 heimlich.

Der soziale Druck auf diese Ehe so enorm, als wollte man nun schwere Steine auf sie werfen.

Doch Anna Zwingli vereinfacht sich. Sie legt alle Zeichen des adeligen Standes ab, um sich in einfache, bürgerliche Gewänder zu kleiden.

Ihr Haus wird denen gastlich, die sich der Reformation verschrieben haben.

Weitere vier Kinder. Also weitere Zweige am Lebensbaum.

Sie jetzt ein Vorbild: Zürichs erste Frau.

Doch aus der Liebesgeschichte wird eine Kriegsgeschichte.

Deren Termin: 11. Oktober 1531, Schlacht von Kappel.

Dieser Feldzug bringt Anna viele Tote. Viele Zweige ihres Lebensbaumes werden ihr gewaltsam entrissen: Gerold tot. Ihr Bruder tot. Der Mann ihrer Tochter tot. Zwingli tot.

Ihr Handgelenk wird zu Eis. Ihr Herz droht ihr zu zerspringen. Alle Ziele nach dem betenden Warten verflüchtigt.

Doch der Alltag bleibt:

Die kleine Anna muss gestillt werden. Die anderen Kinder haben Hunger.

Nun wieder alles im Witwenkleid.

Ich könnte dieses – Wie du sein wirst, gibt es dich schon – zynisch und voller Bitterkeit auslegen: eben, Anna war ja schon einmal Witwe und bis zu ihrem Tod wird sie ihr Witwenkleid nicht mehr ablegen.

Anna wird in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen.

Nur im Münster kniet sie vor dem Tabernakel, in das Zwingli die Heilige Schrift gelegt hatte.

In die Mauer unserer Herzen kann Gott sein Wort so hineinlegen, das sich Mauern verändern – das der grosse Feldzug Gottes.

«Mit dir, mein Gott, kann ich über Mauern springen.» (Ps 18,30)

Das das Feld.

Ich bitte darum.

Oder das andere:

Wenn wir trotz vieler Erschütterungen und ausgerissener Zweige weiter wachsen in unserem Lebensbaum, nachwachsen,

wenn wir weiter Tempelhüpfen spielen, weil wir noch nicht wissen, wer wir sein werden,

ist uns das schon vom Reich Gottes her zugesprochen: Wie du sein wirst, gibt es dich schon.

«Wer nicht umkehrt und durch Gottes Geist neu geboren wird, kann nicht in das Reich Gottes kommen!» (Joh 3,5)

Spielregel beim Tempelhüpfen:

Heb einen Kieselstein auf,

wirf ihn in Deiner Versehrtheit, Schönheit und Verletzlichkeit mit Augenmass –

Feld um Feld spring ihm nach.

In der Westschweiz heissen die reformierten Kirchen Temple.

Amen

 

 

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